Passauer Neue Presse, 30. November 2016, Text: Toni Daumerlang, Foto: Andrea Breinfalk
Die Klavierklasse Slama des Auersperg-Gymnasium-Freudenhain-Passau im Gotischen Langhaus des Klosters Niedernburg, Sonntag, 27. November 2016, 16:00Uhr, Gedichte verfasst und vorgetragen von OStD Christian Zitzl
Jenö Takács Toccata, Op.120/2
Ich (1)
ich,
natürlich unvergleichlich,
wirklich unglaublich,
tatsächlich ungewöhnlich,
eigentlich unbeschreiblich,
ich,
erstaunlich dämlich,
peinlich kleinlich,
kläglich vergesslich,
betrüblich unmöglich,
ich,
unheimlich ehrlich,
unaufdringlich freundlich,
unaufhörlich zärtlich,
unendlich fürsorglich,
ich,
unausstehlich vorbildlich,
unverzeihlich überheblich,
unhöflich fröhlich,
untröstlich gewöhnlich,
ich,
selbstverständlich menschlich,
augenblicklich glücklich,
unausweichlich sterblich,
hoffentlich unvergesslich,
ich.
ich (2)
ich,
eigenartig vielseitig,
gewaltig großartig
vernünftig ruhig
schaurig traurig
stetig tätig
riesig mutig
sperrig schwierig
eklig gierig
schmierig billig
bissig willig
andächtig süchtig
fleißig tüchtig
richtig wichtig
irrig nichtig
ich (3)
sonderbar wunderbar
verführbar berührbar
unentwirrbar unbeirrbar
ehrbar belehrbar
furchtbar unnahbar
unbelehrbar streitbar
spürbar verlierbar
unsagbar kostbar
unwiederbringbar
Carl Philipp Emanuel Bach Solo per Clavicembalo, BWV Anh. 129
Domenico Cimarosa Sonate in G-Dur
Peter I. Tschaikowsky “Juni – Barcarolle” aus den “Jahreszeiten”
Erinnerungen an den Sommer
Sommer
Der Himmel blau
Im Gras kein Tau
Schwimmen im See
danach Eistee
Im Freien Chillen
Mit Freunden grillen
Barfuß im Gras
Weißwein im Glas
Erdbeereis
Tagsüber heiß
Andre Länder sehn
Andre Wege gehn
Strandpromenade
Tattouparade
Blütenduft
Laue Luft
Urlaubszeit
Heiterkeit
Strandläufer
Bei Sonnenaufgang
barfuß
am Strand
salziger Morgentau
im Mund
um die Nase
der Wind
im Ohr
die Wellen
Im Auge
Die Weite des Meeres
Im Herz
eine Ahnung göttlicher Größe
Robert Schumann Romanze, Op. 28/2
Michail Schukh Das Geheimnis vom alten Schloss, Toccata
Ludwig van Beethoven Sonate, Op.2/1, 1. Satz „Allegro“
Kelle statt Meißel
Guten Ratschlägen folgend
habe ich zum Meißel gegriffen
und mir manchen Traum
aus dem Kopf geschlagen.
Im Lauf der Zeit habe ich so
das Relief meiner unverwirklichten Lebensmöglichkeiten
in meinen Kopf eingegraben.
Blicke ich nun von Zeit zu Zeit
in meinen Abgrund
überkommt mich schwindelnd die Gewissheit,
das ich anstelle den Meißel anzusetzen
lieber hätte auftürmen sollen meine Träume
mit mutiger Kelle.
Jetzt nicht / bitte warten
Jetzt nicht, weil ich noch arbeiten muss
Jetzt nicht, weil es schon spät ist,
jetzt nicht, weil ich noch müde bin,
jetzt nicht, weil ich morgen früh raus muss
Wann dann, wenn nicht jetzt?
Wann lebst du, wenn nicht jetzt?
Wann liebst du, wenn nicht jetzt?
Gemeinsam einsam kannst du auch mit jemand anderem sein
Also lebe und liebe mit mir
Oder lass mich frei,
denn leben will ich und lieben
jetzt
Mosaik
Ein kleines Steinchen jeder Tag,
oft satt gefärbt, mal auch pastell,
teils grau, und ab und an auch schwarz,
Fragmente meines Lebens,
verwirrend durcheinander oft.
Mit Abstand aber und aus der Distanz
kein bunter Scherbenhaufen,
sondern mit feiner, bald auch grober Liniatur,
und grad die schwarzen Steinchen geben ihm Kontur,
fügt sich, so hoffe ich,
mein Lebensmosaik zum Bild.
P A U S E
Johannes Brahms Intermezzo, Op.118/2
Sergej Prokoffiew Sonate, Op.14, 2. Satz “Scherzo”
Aram Chatschaturjan “Im Volkston”, Kinderalbum, Band I
Edvard Grieg Nocturne, Op.54/4
Fliegen
Manchmal kann ich fliegen,
zwar nur in Gedanken,
aber immerhin.
Im Aufwind
Auf dem Rücken im Gras
den Blick himmelwärts
springe ich auf eine Wolke
und reite auf ihr
über Berge und Täler,
über Meere und Land,
überwinde Raum und Zeit,
schwinge mich auf
wie ein Adler im Wind
und fliege empor zu den Sternen,
eine Ameise im Universum,
doch fähig zum Glück.
Frederic Chopin Etüde, BI130, Trauermarsch aus Sonate Nr.2, Op.35
letzter Gruß / hoffentlich (A)
Jetzt sind da nur
Tränen und Trauer und Unverständnis,
warum, mein Freund, du mir so genommen werden musstest.
Später vielleicht aber werden da sein,
Dankbarkeit und Freude und Einsicht
dass es ein großes Glück war,
dass es gerade mir, dem Einzelkind, geschenkt war,
dich zu treffen und in dir einen Bruder im Geiste zu finden,
der du so anders als ich warst, und doch im Denken und Fühlen so nah,
– und die Hoffnung,
dass meine Erinnerung an dich nicht mit mir stirbt,
weil deine Seele nur vorausgegangen ist in eine andere Dimension,
um dort auf mich zu warten.
Lebenshilfe
Weil ich weiß,
dass es ihm das Wichtigste war,
dich glücklich zu sehen,
schlage ich dir vor,
immer wenn dir eine Träne
aus dem einen Auge tropft,
in Erinnerung
an einen schönen Augenblick mit ihm,
zu lächeln mit dem andren.
Mit der Fülle des Lebens im Blick
wirst du so Schritt für Schritt lernen,
weiterzugehen unter seinen Augen,
ihn nicht mehr im Arm,
aber im Herzen für immer
Lebensaufgabe
Jeden Tag aufs Neue
behutsam, aber beharrlich
reden lernen, schweigen lernen,
lesen lernen, schreiben lernen,
hören lernen, sehen lernen,
sitzen lernen, gehen lernen,
fliegen lernen, sinken lernen,
essen lernen, trinken lernen,
nehmen lernen, geben lernen,
lieben lernen, leben lernen
jeden Tag aufs Neue
Gott Mensch werden lassen
Weihnachtsgeheimnis,
Lebensaufgabe.
Ferenc Liszt „Liebestraum“, Op.62/3